Schon immer waren die Diskussionen um Wikipedia von der Frage begleitet, ob die bekannte Online-Enzyklopädie ‚neutral‘ sein kann. Ein sehr wichtiges Stichwort in der Debatte war und ist ‚wiki-washing‘: Werden Wikipedia-Einträge manipuliert? Können sie überhaupt manipuliert werden? Ein Ergebnis der Diskussion dieser Fragen waren u. a. watchdog-Tools und der Wunsch nach„radikaler Transparenz“ (vgl. z. B. wikiscanner).
Auch jüngere Diskussionen verhandeln die Idee der Transparenz, indem etwa über die Einführung einer neuen Benutzergruppe – sog. kommerzieller Wikipedia-Autoren bzw. paid editors – debattiert wird. Dahinter steckt der Gedanke, dass durch das Sichtbarmachen dieser Benutzergruppe Interessen stärker offengelegt werden könnten, die Mitgestaltung kommerzieller, wirtschaftlicher Akteure an der Wikipedia transparenter werde und der Dialog offen wie kritisch begleitend stattfinden könne.
Nun hat die Diskussion zudem neuen Wind und vor allem ein neues Tool bekommen: Den Wikipedia Corporate Index Hinter dem Tool steckt ein „Wikipedianer mit Erfahrung“ (vgl. Wikipedia-Kurier) Damit ist eine neue Stufe erreicht, Artikel der Wikipedia sollen hier von einer Third Party gerankt und damit einer Qualitätsbewertung unterzogen werden. Nun geht es also zum (externen!) Ranking und diesmal im Interesse der ‘Corporates’ und nicht im Interesse der WP-User….
In der (de- und en-)Wikipedia-Community wird nun heiß diskutiert und ich bin gespannt, wie die Diskussionen verlaufen und vor allem, wie sich Qualitäts- und Neutralitätsdebatten miteinander verbinden. Auch hat in der de-Community das Projekt von Dirk gestartet: “Grenzen der Bezahlung“. Lasst uns die Ergebnisse abwarten!
Woraus schließt Du, dass der Wikipedia Corporate Index den Interessen der Community zuwider läuft? Weil er sich primär an Unternehmen richtet? Der WCI macht lediglich allgemein zugängliche Daten etwas transparenter und versucht sich an einer vergleichenden Einordnung. Was ist daran problematisch? Auch aus der aufgeregten Diskussion in der Wikipedia konnte ich das nicht wirklich herauslesen.
Danke Arne für Dein Kommentar und Deine Fragen.
zu #1 gegenläufige Interessen: Ich habe nicht gemeint, dass die Interessen sich gegenüberstehen. Das kann ich nicht beurteilen und wäre eine eigene Analyse. Einzig und allein, dass die Idee ist, Kommunikationsverantwortlichen ein Tool an die Hand zu geben (vgl. http://wikipedia-corporate-index.de/blog/ueber-den-wikipedia-corporate-index) liess mich darauf schließen, dass mit dem Tool primär Interesse/Wünsche/Bedarfe von Unternehmen bedient werden sollen und Reputation-Management im Mittelpunkt steht. Natürlich kann man auch argumentieren, dass Wikipedia’s ‘Qualität’ zunimmt, wenn Unternehmen entsprechend von WP-Standards helfen, Artikel zu ihrem Unternehmen/Produkten zu verbessern. Es gibt PR-Arbeit in der Wikipedia und ihr kann man konstruktiv begegnen. Daran setz(t)en zum Teil auch WP-Diskussionen an. Die Wikipedia versteht sich als ein ‘offenes Projekt’. Die Einführung des Index ist für mich ein Ereignis, an dem Konflikte sichtbar und damit einhergehend die verschiedenen Selbstverständniskerne der Wikipedia als Projekt, Collaboration-Plattform, Enzyklopädie etc greifbarer werden. Das ist sehr spannend – u.a. vor dem Hintergrund, dass Wikipedia sich als .org-Projekt, nicht als .com-Projekt vesteht und dies zumindest in den Selbstbeschreibungen einen wichtigen Teil einnimmt. Gibt es diskursive Verschiebungen oder bewegen wir uns ‘nur’ auf einem höheren Level der Ausdifferenzierung?
zu #2 Einordnung als problematisch: Dies habe ich nicht so explizit ausgesprochen. Es ist wichtig, dass sich die Community mit der Frage von Corporate (und anderer) PR in der Wikipedia auseinandersetzt, ihre eigene Wikipedia-Governance weiterspinnt und sich weiterhin im Spannungsfeld von Offenheit und Geschlossenheit bewegt. Für mich bleibt zentral, dass aktive nicht-third-party-geleitete Wikipedia-User zwar nicht unbedingt die Deutungshoheit über ihr Projekt haben, aber dass sie in ihrem Projekt selbst Deutungshoheit haben und untereinander ausfechten. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf dieses Interview spiele ich neugierig den Ausgangspunkt meines Reply’s gerne mit diesen Fragen an Dich zurück: Verstehst Du den Index selbst als Tool, die Beteiligung von Unternehmen an WP-Artikeln transparenter zu machen und stärker an WP-eigenen Standards auszurichten, oder geht es primär darum, Unternehmen als Autor_innen für Wikipedia zu gewinnen? Wo liegt der Schwerpunkt?
Zunächst einmal hoffe ich, dass der Wikipedia Corporate Index die Wikipedia etwas transparenter macht. Denn obwohl alle von mir ausgewerteten Infos schon vorher irgendwo bzw. irgendwie zugänglich waren, kostete es bisher elend viel Zeit, diese zusammenzutragen. Und die allermeisten Unternehmen wussten noch nicht einmal, nach was sie eigentlich suchen sollten, um ihre eigene Darstellung zu bewerten. Mit dem WCI als Analyse-Werkzeug erleichtere ich ihnen diese Arbeit.
Mir ist es wichtig, dass Unternehmen die Bedeutung der Wikipedia verstehen und sich damit auseinandersetzen. Außerdem möchte ich aufklären. Damit sich Unternehmen, die sich zu einer Mitarbeit (direkt im Artikel oder indirekt über Diskussionsseiten etc.) entschließen, sich schon im eigenen Interesse an die Regeln halten. Wenn der WCI dazu beiträgt, dass sich mittel- bis langfristig die Qualität von Unternehmensartikeln verbessert, würde mich das persönlich sehr freuen.
Wie der Weg dahin aussieht (mehr Mitwirkung von Unternehmen oder stärkeres Engagement durch die Community oder eine Kombination daraus) ist mir eigentlich wurscht. Grundsätzlich bin ich aber davon überzeugt, dass Unternehmen und Wikipedia von einer konstruktiven Zusammenarbeit gleichermaßen profitieren können – zumal Unternehmensartikel aktuell ja nun nicht unbedingt zu den qualitativen Aushängeschildern der Wikipedia gehören.